„Einst, so erzählt die Sage, war ein armer Wanderer vom Rheine hergekommen und wollte nach Limburg an der Lenne. Ein Stündchen hinter Schwelm, nicht weit von Voerde, fragte er nach dem nächsten Wege. Der Gefragte war ein Zwerg und gab zur Antwort: „Der kürzeste Weg geht durch den Berg. Hier ist der Eingang! Doch damit du nicht irre gehst, so nimm diesen Fuchs mit dir; du brauchst dich nur an seinem Schwanze festzuhalten, so bringt er dich sicher ans Ziel!“
Unser Wandersmann befolgte den Rat und kam in die Klutert. Nicht immer konnte er aufrecht gehen, manchmal musste er auf allen Vieren kriechen; immer hielt er jedoch den Fuchsschwanz fest. So sah er endlich den Ausweg schimmern.
Da aber hörte es plötzlich ein sonderbares Geräusch. Vorsichtig streckte er seins Kopf heraus; und wie erschrak er, als er dicht vor sich Riesen sah, der sich im Schlaf geschüttelt hatte! Rasch versteckte er sich in den Felsenspalten der Höhle, doch so, dass er den Riesen immer im Auge behielt. Der erwachte mit großem Geschnarche, richtete sich auf, – er war wohl sieben Ellen hoch! – reckte sich und stöhnte, dass die Felsen widerhallten; dann schritt er zur nahen Quelle, füllte sein mächtiges Horn und nahm seinen Mittagstrunk.
Endlich aber wendete er die Nase nach allen vier Winden. „Es muss ein Mensch in der Nähe sein,“ sprach er bei sich, doch so, dass der arme Wicht in der Höhle jedes Wort verstehen konnte;“ wie gut sollte er mir schmecken, wenn ich ihn nur hätte! Hungrig bin ich ja doch noch; die drei Häschen, die ich heute erst gespeist, haben mich noch nicht satt gemacht.“ Er fing an zu suchen und stöberte zwischen allen Felsen umher; nur dachte er nicht daran, in die Höhle u blicken. Dann dass da der Mensch zu finden sein könne, fiel ihm nicht ein. So entging ihm die Beute. Er wusste sich endlich vor Zorn und Wut nicht mehr zu lassen, riss Bäume aus mit ihren Wurzeln und wälzte sie den Berg hinab; auch mächtige Steinblöcke riss er los und schleuderte sich ins Thal.
Bis dahin hatte der arme Hans immer noch seinen Fuchs festgehalten; as er aber das grässliche Getöse vernahm und den Grimm des Riesen sah, erschrak er so, dass er den Fuchsschwanz fahren ließ. Der Fuchs ließ sich’s nicht zweimal sagen, dass er nun frei sein sollte; voller Freude sprang er aus der Höhle heraus und an dem Riesen vorbei in den Wald. Der lief mit großen Schritten hinter ihm her und erhob sein Jagdgebrüll, das wie der Donner sollte.
Aber er ward immer schwächer, je mehr sich der Riese von der Höhle entfernte, und unserem Reisenden kam die alte Munterkeit wieder. Er eilte aus seinem Verstecke hervor und lief spornstreichs hinunter nach Limburg, as vor ihm im Sonnenstrahl erglänzte. Aber es dauerte einige Zeit, bis er sein fröhliches Lied wieder anstimmen konnte.“
Quelle: Lothar Kruse „Gottlieb Vormann, der „Fuchsschwanzhalter“ und Wilhelm Langewiesche“ in „Ennepetaler Forschungen“ Nr.34; 2019